Ich sitze gerade am Schreibtisch, es ist 10.40 Uhr. Große Pause. Nach den ersten 3 Stunden Deutsch brauche ich die jetzt aber auch, lege die Füße auf den Tisch und trinke Kaffee. Im Hintergrund läuft Tocotronic. Zu dieser Band, wie mich ihre Musik seit 20 Jahren begleitet und vor allem zu diesem Lied könnte ich ein Buch schreiben. Ich versuche es mal in ein paar Sätzen und weiß jetzt schon, dass die nicht ausreichen.
Angefangen hat das ganze bei einem Freund, der im Jahre 1999 zuhause ein Zimmer hatte, das nur aus einer Stereoanlage, einem Fernseher, Sofa, Tisch, Kühlschrank und Aschenbecher bestand (und der Eltern hatte, denen relativ wurscht war, was er da drin macht). In diesem Raum hielt ich mich gelegentlich auf und habe dort zum ersten Mal den Film „Trainspotting“ gesehen, die Bands „Slut“ und eben „Tocotronic“ gehört, Bier getrunken und geraucht. Und das mit 15. Irgendwann ging ich mit zwei CDs nach Hause: „The invisible Band“ von Travis und „Wir sind gekommen um uns zu beschweren“ von Tocotronic. Beide habe ich für 10 Mark von meinem Nachbarn brennen lassen und sie rauf und runter gehört. Travis mag ich immer noch, aber besonders Tocotronic hat mich eigentlich nie wieder losgelassen. Über die eigentlich immer schwurbelig-metaphorische Gestaltung der Lieder kann man streiten, aber wenn man sich die Zeit nimmt, ein Lied intensiv und aufmerksam zu hören, ist das wie ein gutes Buch. Zumal man viele Lieder nur als sehr belesener Mensch oder mit etwas Recherche versteht, da oftmals Autoren, Dichter, Musiker, Psychoanalytiker etc. zitiert werden. Auf das eine Album von Tocotronic folgten noch mehr (vornehmlich auf Vinyl) und ich habe nie die Lust daran verloren, sie zu hören, auch aus dem Grund, dass die Band mehrmals ihren Stil leicht verändert hat, aber dennoch der eigenen Linie treu geblieben ist.
„Schatten werfen keine Schatten“ ist ein Lied, das ich bis heute nicht wirklich verstanden habe. Vielleicht fehlt mir aber da auch der Intellekt. Letztendlich spielt das aber keine Rolle, wenn man sich nur die Sätze „Schatten werfen keine Schatten“ bzw. „Denn wir wissen ganz bestimmt – dass wir beide Schatten sind“ auf der Zunge zergehen lässt.
Der Titel des Liedes geht in eine ähnliche Richtung wie Sprüche á la „Wer in fremde Fußstapfen steigt, hinterlässt keine eigenen“ und fordert zu Originalität, Selbstständigkeit, aber auch Motivation und Improvisationskunst auf. Genau das sind Werte, die ich versuche, zu verfolgen. Interessant ist auch, wie sich die Bedeutung für mich über die Jahre geändert hat – Früher wollte man nur etwas Eigenes machen und man selbst sein, heute sehe ich das Ganze auch in Bezug auf meine Kinder, für die ich alles andere sein will als ein Schatten, der keinen wirft.
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